Inhalt
- Supervision und Qualitätssicherung im Coaching
- Coaching kann gut sein, aber wie bleibt es exzellent?
- Supervision als Schlüssel zur Qualität
- Einzel- oder Gruppensupervision – die Weisheit der Vielen
- Was Hänschen nicht lernt …
- Worauf bei der Ausbildung zu achten ist
- Ein Wunderwerk oder eine gut geölte Maschine
- Fazit zur Reflexion: Die Geschichte vom Fenster
In der Welt des Coachings zählt Authentizität, Präsenz – und vor allem eines: Reflexion.
Supervision und Qualitätssicherung im Coaching
Eines schönen Tages, als Teilnehmer in einer Seminarsituation, hatte ich einen Moment der Erkenntnis. Wir hatten uns mit professionellen Beratungsmethoden, speziell im Supervisionskontext, zu acht ausgetauscht. Was war nun diese Erkenntnis? Dazu muss ich drei Monate in die Vergangenheit springen.
Es war ein normaler Montagmorgen und alles schien wie immer zu sein. Der Kalender war gefüllt, die Erstgespräche hatten alle bereits vor Wochen telefonisch oder über Onlinebesprechung stattgefunden. Was sollte mich auch groß überraschen?
- Erster Termin: Familienvater, bezogen auf berufliche und private Situation immer wieder orientierungslos, vermutlich mangelnde Werteklarheit.
- Zweiter Termin: Lehrerin, wählt persönlich bestimmte politische Partei aus Überzeugung und muss im Unterricht eher gegensätzliche Anschauungen vertreten, vermutlich Wertekonflikt.
- Dritter Termin: junge Studentin, häufig starke Wut und fürchtet bereits Aggressionsausbruch, vermutlich Wert verletzt.
Interessierte Leser:innen sehen auf den ersten Blick, was mir zum damaligen Zeitpunkt vollkommen verborgen war. Alle Klient:innen hatten scheinbar ein Thema auf der Werteebene. Für alle Klient:innen hatte ich beschrieben, dass eine Wertehierarchie die erste Intervention war, die wir durchgeführt hatten. Das mochte inhaltlich korrekt sein, konnte aber auch einer Gewohnheit oder einem blinden Fleck geschuldet sein. Das hatte ich jedoch nicht weiter hinterfragt und meine Hypothese als richtig und die darauffolgende Intervention als logische Konsequenz gesehen.
Im oben genannten Seminar hatten wir über Methodenwahl und Alternativen ausführlich diskutiert und unsere (anonymisierten) Fallbeispiele dahingehend überprüft. Nun wurden mir gänzlich andere Hypothesen vorgeschlagen und diese führten zu Interventionen, an die ich nicht im Traum gedacht hätte.
Derart verunsichert – und zwar im besten Sinn des Wortes – wurde mir klar, dass ich einer Gewohnheit aufgesessen war, dass mein Denken sich einen bequemen und energiesparenden Weg gesucht hatte. Wer mich kennt, weiß jedoch, dass ich weniger von Bequemlichkeit halte, stattdessen aber immer interessiert bin, meinen Klient:innen die bestmögliche Unterstützung zu bieten.
Coaching kann gut sein, aber wie bleibt es exzellent?
Konnte eine für mich bequeme Denkweise wirklich die optimale Unterstützung für Klient:innen sein? Die Antwort lag für mich schnell fest – denn schließlich verkaufen wir im seriösen Coaching keine Fertigbackmischungen. Methoden mögen standardisiert und Prozesse mögen ähnlich gestaltet sein, in der jeweiligen konkreten Ausprägung sind sie aber immer unterschiedlich.
Qualität ist also nicht ausschließlich eine Frage der Beherrschung einzelner Methoden, sie ist vielmehr die Folge einer Bereitschaft, ständig mit wachen und frischen Augen, Ohren und Gedanken an die Anliegen unserer Klient:innen heranzugehen. Um nun diese Bereitschaft aufrechtzuerhalten, braucht es aber eine bewusste Entscheidung für Supervision und Fortbildung, wie auch Beständigkeit und Arbeit an der eigenen Persönlichkeitsentwicklung.
Coaching ist ein lebendiges, interaktives Geschehen. Kein Gespräch gleicht dem anderen, und jede:r Klient:in bringt eine eigene Welt aus Erfahrungen, Überzeugungen und Herausforderungen mit. Um als Coach langfristig wirksam zu bleiben, brauchen wir einen Rahmen, der sicherstellt, dass wir nicht unbewusst in alte Muster verfallen oder aus Bequemlichkeit weniger präsent sind.
Hier kommen systemische Denkmodelle ins Spiel. Sie lehren uns, dass wir immer Teil eines größeren Systems sind – sei es das Coaching-Gespräch, unser berufliches Umfeld oder unsere persönliche Entwicklung.
Supervision als Schlüssel zur Qualität
Supervision setzt genau hier an:
- Sie hilft uns, eigene Muster zu erkennen.
- Sie gibt uns neue Perspektiven auf unsere Arbeit.
- Sie macht blinde Flecken sichtbar, die wir allein nicht entdecken würden.
Ich erinnere mich an eine Supervisionssitzung, in der ich einen Fall schilderte, mit dem ich mich unwohl fühlte: Ein Klient, der immer wieder mit denselben Themen kam und sich offenbar nicht veränderte. Mein Supervisor stellte mir eine simple Frage: „Was sagt das über dich als Coach?“ Zunächst war ich irritiert. Es ging doch um den Klienten, nicht um mich! Doch als wir tiefer gruben, wurde mir klar: Ich hatte eine Erwartung an Veränderung, die nicht zu seinem Tempo passte. Und nicht er steckte fest – sondern ich, in meiner Vorstellung davon, wie Fortschritt auszusehen hat. Diese Erkenntnis war Gold wert. Und genau solche Momente machen Supervision zur wichtigsten Säule der Qualitätssicherung.
Einzel- oder Gruppensupervision – die Weisheit der Vielen
Sicherlich stellen sich manche Leser:innen auch die Frage, ob es Einzel- oder Gruppensupervision sein soll. Worin liegen hier die wesentlichen Unterschiede für mich als Coach? Wie in fast allen Beratungsformen gibt es auch in der Supervision die Möglichkeit, einzeln oder in der Gruppe an einer Sitzung teilzunehmen. Im Einzelsetting wird man für gewöhnlich schneller durch mehrere Fallbeispiele gehen können – für den Coach womöglich eine sehr effiziente und kostengünstige Variante.
Ein Risiko besteht hierbei jedoch, welches im Rahmen einer Gruppensupervision weiter reduziert werden kann: blinde Flecken bei Supervisor:in und Coach. Auch hier schleichen sich möglicherweise Gewohnheiten ein, wenn die Begleitung über einen längeren Zeitraum geht. Finden Supervisionen jedoch in Gruppen mit abwechselnder Zusammensetzung der Teilnehmer:innen statt, dann werden auch Fragestellungen und Perspektiven dieser Teilnehmer:innen tendenziell jeweils unterschiedlich ausfallen. Daher kann es mitunter schwieriger sein, Kontinuität im eigenen Supervisionsprozess zu etablieren.
Am Ende ist auch ein:e Supervisor:in „nur“ ein Mensch und kann denselben Mustern, Schwächen und Gewohnheiten aufsitzen. Und wir sind gut beraten, einen Mix aus Einzel- und Gruppensupervision in Anspruch zu nehmen, oder auch unsere Supervisor:innen gelegentlich zu wechseln.
Was Hänschen nicht lernt …
Damit dieses Sprichwort sich nicht bewahrheitet (woran ich persönlich sehr zweifle) ist es sinnvoll, sich mit der Wahl der Ausbildung zu befassen. Qualität in Beratungs- und Coaching-Prozessen wird am Ende nicht dadurch erzielt, dass man anhand von Supervision eine fehlende oder mangelhafte Ausbildung zu kompensieren versucht.
Worauf bei der Ausbildung zu achten ist
Woran kann aber ein:e Interessent:in eine gute Ausbildung erkennen und für sich die passende Auswahl treffen? Im Grunde spielen mehrere Faktoren dabei eine Rolle:
- Bauchgefühl – ich muss mich mit Institut und Lehrenden wohlfühlen.
- Qualifikation der Lehrenden – in Form von Ausbildungen und beruflicher Erfahrung.
- Umfang des Curriculums – sind theoretische Inhalte wissenschaftlich fundiert?
- Praxisanteil – ist der Anteil praktischer Arbeit angemessen groß?
- Zertifikat – schließt die Ausbildung mit Prüfung und Zertifikat ab?
Die meisten der genannten, nicht erschöpfenden Punkte werden in Deutschland von Verbänden adressiert. Dr. Christopher Rauen listet eine Vielzahl anerkannter Verbände auf seiner Website auf: www.rauen.de
Auch ist es eine Überlegung wert, sich nach einem Standard wie ISO 17024 zertifizieren zu lassen. Für Klient:innen erleichtert dies die Auswahl und ein Coach kann im Einzelfall einen Geschäftsvorteil erzielen. Speziell öffentliche Einrichtungen, staatsnahe Unternehmen und der Bildungssektor wählen zwischen ansonsten gleich qualifizierten oft die zertifizierten Anbieter:innen.
Dieser potenzielle Marktvorteil kann ein weiteres Argument für Anfänger:innen und Wiedereinsteiger:innen sein, sich noch mal einer soliden Ausbildung oder wenigstens einer Zertifizierung zu unterziehen.
Ein Wunderwerk oder eine gut geölte Maschine
Eine fundierte theoretische Ausbildung, viel praktische Übungen, regelmäßige Intervision, Peergroups, ein anerkannter Abschluss – da kommen schon einige Komponenten zusammen. Man kann und soll diese noch ergänzen um persönliche Aspekte, Einzel- und Gruppenselbsterfahrung, Literaturstudium, Praktika in entsprechenden Einrichtungen. Fasst man all diese Einzelteile abschließend zusammen, dann entsteht wahrscheinlich ein Wunderwerk der Technik. Damit diese Maschine aber schön und funktional bleibt, braucht es eine regelmäßige Inspektion und Wartung.
Supervision kann diese Aufgabe erfüllen – regelmäßige Überprüfung der korrekten Funktionalität und bei Bedarf eine entsprechende Wartung.
„Ich besuche doch ohnehin regelmäßig Fortbildungen.“ Diese Haltung wird dem nicht gerecht werden. Denn Fortbildungen wären Erweiterungen der Maschine, möglicherweise Austausch einzelner Bestandteile oder vielleicht Softwareupdates für den Bordcomputer.
Fazit zur Reflexion: Die Geschichte vom Fenster
Supervision kann unsere Augen öffnen. Dazu abschließend eine kleine Geschichte:
Eines Morgens saßen Mann und Frau am Frühstückstisch. Die Frau beschwerte sich, dass die Nachbarin ihre Wäsche nicht wirklich sauber gewaschen oder ein schlechtes Waschmittel benutzt habe. Sie würde die Wäsche doch tatsächlich mit Schmutzflecken aufhängen. Der Mann sagte nichts. Am nächsten Morgen wiederholte sich die Geschichte, die Frau beschwerte sich erneut über die nicht ganz saubere Wäsche der Nachbarin und ihr Mann sagte nichts. So ging es einige Tage. Am nächsten Morgen war die Frau sichtlich erstaunt und meinte: „Sieh an, die Wäsche unserer Nachbarin ist jetzt sauber. Da hat ihr wohl endlich jemand einen Hinweis gegeben.“ Ihr Mann antwortete darauf: „Schatz, ich bin heute früher aufgestanden und habe unsere Fenster geputzt.“
Vielleicht wollen wir ebenfalls unsere Fenster putzen, immer wieder aufs Neue, im Interesse unserer Klient:innen – und für uns selbst.