Im ersten Teil ging es darum, Ressourcen bei Klient:innen zu schonen, aber auch bei uns Berater:innen selbst. In diesem Beitrag möchte ich Werte weiter beleuchten und auf ein paar interessante Aspekte näher eingehen. Bewusstsein und Nutzen müssen im Mittelpunkt stehen.
Solange Werte unbewusst bleiben, wirken sie wie ein Autopilot
Wir begegnen im Praxisalltag etlichen Klient:innen, die über die drei belastenden Grund-Emotionen Angst, Wut und Trauer sprechen. Es wäre manchmal verlockend, auf diese Emotionen zu fokussieren, als wären sie Ursachen und nicht wertvolle Symptome. Stattdessen kann es sinnvoll sein, eine Wertehierarchie auszuarbeiten. Es geht nicht primär darum, Werte zu ordnen und die perfekte Hierarchie zu erarbeiten.
So weit sind die Klient:innen in diesem Stadium nämlich nicht. Ihnen diese Methode zum Zweck einer optimalen Hierarchie ihrer Werte überzustülpen wäre eine Überforderung. Ebenso ist es für uns als seriöse Berater:innen keine Option, unser Klient:innen durch oberflächliche Symptombehandlung zu Stammkund:innen zu machen. Abhängigkeit als Geschäftsmodell macht sich nie gut, schon gar nicht in einem Bereich wie dem von Beratung und Coaching.
In einem Beratungs-Prozess brauchen die Klient:innen zuallererst die Erkenntnis, dass es überhaupt so etwas wie Werte gibt und was Werte sind. Ebenso müssen sie erkennen dürfen, dass ihre Werte als Maßstäbe und Richtungsweiser fungieren, ihnen sozusagen permanent bei Entscheidungen den Weg weisen. Erkennen Klient:innen erst einmal die Wichtigkeit von Werten an, dann wird folglich der Weg frei für Wertearbeit mit all ihren Vorteilen und Konsequenzen. Solange Werte hingegen unbewusst bleiben, wirken sie wie ein Autopilot.
Bewusstsein und Nutzen
Unsere Klient:innen wundern sich vielleicht über ihre eigenen Emotionen und über ihr Verhalten, sie verstehen jedoch die zugrunde liegenden Ursachen und Mechanismen nicht. Wir betreiben also Psychoedukation und Bewusstseinsbildung – und das ist zugleich der Schlüssel zum Coaching-Erfolg. Dieser wichtige Schritt der Bewusstwerdung führt meist zu einer Versöhnung mit der Ursache anstatt des Symptoms und ist daher in vielen Fällen die wichtigste Intervention im Coaching-Prozess.
Transparenz hinsichtlich Methoden und Prozess ist nach meinem Verständnis speziell im Zusammenhang mit diesen drei Emotionen eine unabdingbare Zutat für das Gelingen einer Coaching- oder Beratungssitzung. Es gibt Coaches und Berater:innen, die sich vor Transparenz eher zu fürchten scheinen. Für sie scheint der Erfolg einer Intervention von einem größtmöglichen Überraschungseffekt für die Klient:innen abhängig zu sein. In meiner Praxis erlebe ich eher das Gegenteil, denn Klient:innen machen wesentlich größere und schnellere Fortschritte, wenn sie über die Methoden und den Prozess informiert sind und sich bewusst dazu entscheiden, sich darauf einzulassen und aktiv mitzuwirken.
Was haben wir davon?
Gehen wir für einen Moment davon aus, dass wir diese Grund-Emotionen als Hinweise auf Werte-Themen verstehen und dementsprechend passende Interventionen auswählen. Das bedeutet nicht, dass wir gänzlich auf Aufstellungsarbeit, vielschichtige NLP-Formate und dergleichen verzichten sollen. Vielmehr eröffnet uns dieser Denkansatz die Möglichkeit, diese drei scheinbar komplexen Emotionen mit äußerst simplen, ressourcenschonenden Methoden zu adressieren. Benötigt der Prozess darüber hinaus noch andere, weiterführende Methoden, so können wir diese problemlos ergänzend anwenden.
Als Coach oder Berater bevorzuge ich im Normalfall eine kleine, sparsame Intervention gegenüber einer komplizierten oder aufwändigen. Dies lässt sich durch ein einfaches Rechenbeispiel illustrieren: Eine Familienaufstellung kann eine bis eineinhalb Stunden Zeit benötigen, vielleicht acht bis zehn Repräsentanten involvieren, in einem entsprechend großen Raum stattfinden. Die genannten Bestandteile wollen unter Kontrolle sein, in einem sicheren Rahmen mit genügend zeitlicher Flexibilität. Das kostet mich als Berater einiges an Zeit, Konzentration und Kraft.
Dem gegenüber steht eine Wertehierarchie, welche ungefähr 45 Minuten dauert, die ohne weitere Personen auskommt und gerne auch in einem gemütlichen, kleinen Beratungsraum stattfinden kann. Der Aufwand für mich als Berater ist hierbei nicht mit dem einer Familienaufstellung zu vergleichen. Wenn wir unseren Aufwand wirtschaftlich betrachten, dann können wir im zweitgenannten Szenario auch die Kosten für unsere Klient:innen senken. Ich finde diesen Gedanken daher sehr ansprechend!