Ein systemisches Leitbild kann Orientierung und Sicherheit bieten
Ängste und Unsicherheiten entstehen unter anderem dann, wenn Menschen kein Referenzsystem haben. Dies zu erkennen, bedeutet: Gefahr erkannt, gefahr gebannt!
In den meisten dieser Fälle haben sie nie ein eigenes Referenzsystem etabliert, seltener bricht ein bestehendes durch eine Krise oder ein Trauma weg. Dieses fehlende Referenzsystem wird dann für gewöhnlich durch Referenzpersonen kompensiert – sämtliche Formen von Dependenzen im Erwachsenenalter weisen auf diese Kompensation hin.
Die Beziehungen, welche Klient:innen dann eingehen, weisen häufig Merkmale von kindhaften Vorstellungen und Erwartungen auf. Spätestens wenn diese Vorstellungen enttäuscht und die Erwartungen nicht erfüllt werden, stellt sich bei vielen Orientierungslosigkeit und Verunsicherung ein. Kleinste Ereignisse im Außen führen dann mitunter zu Ängsten und Verzweiflung im Innen. Natürlich stellt ein fehlendes Referenzsystem nur eine von mehreren möglichen Ursachen für Ängste dar. In diesem Artikel möchte ich den systemischen Aspekt etwas detaillierter beleuchten.
Orientierungslosigkeit macht Angst, Angst macht angreifbar
Wer sich in einem solchen Zustand der Orientierungslosigkeit und Verunsicherung befindet, wünscht sich unweigerlich Sicherheit – Ängste sollen verschwinden, Probleme sollen gelöst werden – nach Möglichkeit ohne eigenes Zutun und mit kleinstmöglichem Aufwand. Geschickte Manipulatoren nutzen diese Bedürftigkeit zur Verfolgung ihrer eigenen Interessen aus. Dabei macht es keinen Unterschied, welchem politischen Lager eine Partei oder welcher Sparte ein Konzern angehört. „Werbung“ ist der Deckbegriff, unter dem sich geschickte Manipulation verbirgt.
Ein Beispiel, anhand dessen dieses Denkmodell sofort nachvollziehbar wird, sind Medien. Früher gab es durch die Latenz in der Produktion und die hohen Produktionskosten noch so etwas wie eine Kontrollinstanz bei den Printmedien. Die Situation änderte sich spätestens seit der breiten Verfügbarkeit von sozialen Medien und ihrer mobilen Nutzung auf Smartphones.
Diese Begriffe sind in sich bereits Manipulationen, denn die „sozialen“ Medien sind in weiten Teilen asozial und die Phones nicht unbedingt smart. Wer es versteht, diese Technologien geschickt einzusetzen, der ist in der Lage, Ängste und Wünsche von Menschen gezielt zu triggern und Handlungen zu fördern, die den eigenen Interessen dienen. Sei es auch nur das Kaufverhalten (nicht zuletzt von Teenagern), welches dabei manipuliert wird.
Um sich nun diesen scheinbar unvermeidlichen Manipulationen zu entziehen und im übertragenen Sinne immun gegen sie zu werden, ist es hilfreich, ein klares, starkes Referenzsystem zu haben. Das bedeutet, Klarheit darüber zu haben, wohin man gehört, was der eigene Beitrag ist und schließlich auch den Sinn und Zweck der eigenen Existenz und Handlungen zu erkennen.
Solange jedoch Menschen als Referenzpersonen herangezogen werden, bestehen Abhängigkeiten und eine gesunde Selbständigkeit kann kaum erreicht werden. Das ist leicht nachzuvollziehen, bedeutet doch „eine Referenzperson als Ersatz für ein eigenes Referenzsystem zu haben“ im Grunde, dass das Referenzsystem einer anderen Person übernommen wird. Dies führt mitunter zu Rollenverwechslung, Identitätsverwirrung und Irritation auf allen logischen Ebenen.
Gefahr erkannt & gebannt
Der optimale Prozess zur Erreichung eines förderlichen Referenzsystems beginnt in der Ursprungsfamilie. Eltern haben die Möglichkeit, ihren Kindern Vorbild zu sein, ihnen einen Weg von der anfänglich unvermeidbaren Abhängigkeit in eine reife Selbständigkeit vorzuleben und sie auf diesem Weg durch Erziehung ein Stück zu begleiten. Systemische Reifeentwicklung als Prozess ist der Schlüssel, um Kinder zu mündigen Erwachsenen heranreifen zu lassen.
Sie können so das Referenzsystem „Eltern als Bezugsperson“, das anfangs die alleinige Wahrheit und Weisheit verkörpert, nach und nach durch ein Referenzsystem ersetzen, in welchem sie sich ihrer Zugehörigkeit zum übergeordneten System mit allen daraus resultierenden Konsequenzen bewusstwerden. Alles ist mit allem verbunden und das bedeutet in weiterer Folge: Geht es meinem System gut, dann kann es auch mir gut gehen.
Schafft es ein Mensch, für sich selbst ein solches „gesundes“ Referenzsystem zu etablieren, dann verringert sich neben der Orientierungslosigkeit gleichzeitig die Gefahr einer Manipulation durch geschickte „Rattenfänger“. Denn diese machen sich genau den Zustand der Orientierungslosigkeit zunutze, indem sie gezielt und skrupellos mit den Ängsten und Wünschen arbeiten, die daraus entstehen.
Wer hingegen selbst den Sinn seiner Existenz erkennt, wer den Wert seiner Handlungen für das größere Ganze begreift, der kann Entscheidungen insofern leichter treffen, dass sie klar auf den eigenen Beitrag zum Wohl des größeren Ganzen ausgerichtet sind. Die daraus entstehende Sicherheit senkt unweigerlich Angst und sie verleiht vielmehr Mut, Klarheit und Orientierung. Ausgestattet mit diesen Qualitäten schwindet die Angriffsfläche für Manipulation und Menschen empfinden – erneut – Vertrauen und Zuversicht.