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Von: Daniel Knabl
Veröffentlicht am: 25.7.2024

Setting und Veränderung – Gut aufgestellt für das, was kommt 2

Setting und Veränderung sind eng miteinader verknüpft. Das Setting kann über den Erfolg der Veränderung entscheiden. Aufstellung kann helfen.

Menschen, Zettel, Holzfiguren und die Frage nach dem Unterschied

Die eigentliche Aufstellung findet in der Regel im Einzelsetting statt. Setting und Veränderung bedingen sich nahezu immer gegenseitig. Meine Klient:innen wählen für sich meistens Kärtchen im Raum, seltener Holzfiguren auf dem Systembrett, um die Elemente ihres Systems zu visualisieren. Das Einzelsetting ist dabei ein hilfreicher Rahmen, in welchem der Inhalt des Anliegens nicht zur Erschwernis für die Methode wird – niemand außer Klient:in und Berater erfährt vom Inhalt. Indem Klient:innen innere, unbewusste Bilder im Außen visualisieren, beginnen sie Strukturen und Zusammenhänge zu sehen, die ihnen bislang verborgen waren. Sie verändern dabei bewusst die Perspektive und erkennen schließlich Muster, Dynamiken und Besonderheiten ihres eigenen Systems. So wird es in weiterer Folge möglich, Lösungen probehalber „zu denken“, die bisher scheinbar unvorstellbar waren.

Für manche Themen ist eine Aufstellung im Gruppensetting eine gute Wahl, vor allem damit Klient:innen das eigene Thema und neue Lösungen in einem ersten Schritt lediglich als Beobachter erleben. Durch diese bewusste Distanz erlauben sich Klient:innen, eine Lösung für möglich zu halten und sie zumindest gedanklich vorab einmal zu erleben. Ansonsten gibt es keine Unterschiede in der Arbeitsweise im Einzelsetting gegenüber dem Gruppensetting.
In dieser Form der systemischen Aufstellungsarbeit gehe ich als Berater bewusst langsam und sehr reduziert vor. Ich stelle immer und immer wieder nahezu ein und dieselbe Frage, nämlich nach jeder Veränderung: Ist es besser, schlechter, gleich oder anders?

Setting und Veränderung - Gut aufgestellt für das, was kommt

Diese standardisierte Abfrage wirkt für die Klient:innen prozessvertiefend, ähnlich einer Trance, und sie erlaubt das Arbeiten nahezu ohne Inhalt. Man muss bekanntlich nicht wissen, was „gut“ ist, um zu wissen, was „besser“ ist. Die Qualität der Veränderung ist das Einzige, was für die Klient:innen am Ende relevant ist. In der gesamten Aufstellung habe ich somit gleichzeitig ein Messinstrument für die Auswirkungen meiner Interventionen. Sei es Stellungsarbeit, indem einzelne Systemmitglieder räumlich anders angeordnet werden, seien es ritualisierte Sätze, mit denen systemische Verletzungen angesprochen und in Ordnung gebracht werden können. Bei dieser Form der Aufstellungsarbeit geht es im Wesentlichen um zwei Aspekte: trennen, was zu Unrecht vermischt wurde und verbinden, was zu Unrecht getrennt wurde.

Unter diesen beiden Aspekten lassen sich alle mir bekannten systemischen Muster, Verletzungen und Dynamiken einordnen. Das ist ein zentrales Merkmal dieser Form der Aufstellungsarbeit, denn so wird verhindert, dass Inhalte vom Wesentlichen ablenken. Es kommt gar nicht erst zu Drama, Spektakel und Show, was vor allem im Gruppensetting ansonsten leicht vorkommen kann. In dieser Variante wissen Repräsentant:innen meisten überhaupt nichts über die Elemente, für die sie sich stellvertretend zur Verfügung stellen. Diese Inhaltsfreiheit klärt am Ende den Blick für das Wesentliche und ermöglicht eine wohltuende Freiheit in der Lösungsfindung.

Setting und Veränderung - Gut aufgestellt für das, was kommt

Meine Klientin hat für sich die Aufstellung in der Gruppe gewählt. Sie wählt einzelne Personen als Stellvertreter:innen für die Systemmitglieder aus und führt sie ins Feld. Ab dem Zeitpunkt darf sie – vorerst – aus der Meta-Position beobachten und unbewusst lernen. Im Verlauf der Aufstellung werden ihr einzelne Zusammenhänge klar und ein relevantes Muster wird deutlich sichtbar. Für die Intervention kommt die Klientin nun selbst anstelle ihrer eigenen Repräsentantin ins Feld. Sie spricht von mir vorformulierte Sätze aus, wir verändern die Position im Feld, sie zeigt deutliche Anzeichen von Rührung und Ergriffenheit. Nach ersten Tränen kommt ein tiefes Durchatmen, im gesamten Feld wird Ruhe und Zufriedenheit spürbar.

Bei meiner Klientin war im Erstbild eine Rollenverwechslung zu beobachten. Sie trat analog dazu im Alltag immer wieder in die Fußspuren ihres Vaters, der ein schweres, berufliches Schicksal erlitten hatte. Diese Loyalität drängte meine Klientin – aus Liebe zum System – immer wieder in ähnliche Situationen wie sie der Vater erlitten hatte und in denen sie sich in weiterer Folge kleiner und schwächer fühlte als sie es in Wirklichkeit war. Diese Verwechslung lösten wir mittels einer Musterunterbrechung auf. Zudem führten wir ein Rückgaberitual durch, um das Schicksal des Vaters von meiner Klientin zu nehmen und ganz beim Vater zu lassen. Dieser Schritt war nötig, damit sich meine Klientin aus dieser Verstrickung lösen konnte.

Endlich frei, das eigene Leben zu leben

Was meine Klientin hier erlebt hat, ist aus konstruktivistischer Sicht keine Überraschung. Sie hat sich eine neue Bewertung einer erlebten Vergangenheit erlaubt und in weiterer Folge eine alternative Möglichkeit konstruiert, ihre Gegenwart und Zukunft zu gestalten und zu erleben.
Sie selbst würde vielleicht sagen: „Ich bin endlich frei und darf mein eigenes Leben leben. Diese Last, die ich so lange gespürt habe, ist nicht mehr da.“

Natürlich wird nicht jedes Thema automatisch am besten durch eine Aufstellung bearbeitet. Vor allem sollte man sich nicht der Versuchung hingeben, ohne therapeutische Ausbildung an Traumata und dergleichen zu arbeiten. Und doch lohnt sich ein grundlegendes Verständnis systemischer Leitprinzipien und Dynamiken, um Klient:innen auf dem Weg zu einer adäquaten Lösung lange Umwege und die Verschwendung ihrer Ressourcen zu ersparen. Dieselben Prinzipien, welche in einem systemischen Leitbild für Orientierung und Klarheit sorgen, wirken ganz praktisch im Alltag in allen unseren Systemen. Konflikte, Fremdgefühle, falsche Rollen, Loyalitäten – so komplex einzelne Anliegen und Erzählungen klingen, so simpel sind fast immer die zugrundeliegenden Wirkmechanismen.

Setting und Veränderung - Gut aufgestellt für das, was kommt

Aufstellungsarbeit hat sich in meiner Praxis sehr bewährt und in letzter Zeit scheint der Bedarf speziell bei jüngeren Menschen immer größer zu werden. Sie suchen Orientierung und Halt, wollen die Last auf ihren Schultern loswerden und in die Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit kommen. Mit dem Werkzeug der systemischen Aufstellung kann dieser Schritt oft sehr schnell und mit geringem Aufwand vonstattengehen. Natürlich ist es mit diesem Werkzeug so wie mit allen unseren Werkzeugen. Der Umgang will gelernt und geübt werden, um sauber und zielgerichtet arbeiten zu können. Daher bin ich unbedingt für eine solide, qualitätsgesicherte Ausbildung – immerhin arbeiten wir mit Menschen und deren Schicksalen.

Selbst ohne systemische Aufstellung anzuwenden, kann das Werkzeug des Genogramms für uns Berater:innen eine Orientierungshilfe im Dickicht sich häufender, unerklärlicher Symptome unserer Klient:innen sein. Wie bei jeder Methode empfiehlt es sich auch beim Genogramm, diese im Rahmen von Selbsterfahrung zu erkunden und zu vertiefen, bevor wir damit auf andere wirken. Und wer weiß, vielleicht lösen wir dabei ganz aus Versehen eines unserer eigenen Muster auf.


Teil 1 – Anliegen und Klarheit